Sportbulimie III: Meine heutige Sicht auf diese Krankheit von damals
B-U-L-I-M-I-E.
Ich hasse dieses Wort. Ich finde, es erinnert sehr an „Buh!“. Und hat eher was von einer Wirtschaftskrise als von einer sehr gefährlichen Krankheit.
Aber vielleicht ist es auch nach wie vor so, dass ich gerne vor diesem Wort wegrenne, da ich es bis heute nicht kapieren kann, warum ausgerechnet ICH mal in einer Bulimie gestrandet war…
Hier könnt ihr nachlesen, welche Form der Bulimie ich einst hatte, und wie es dazu (wahrscheinlich) kam:
Mein Leben mit der Sportbulimie Teil II: Zwei Wochen Krankenhaus
Heute bin ich natürlich viel reifer als damals. Ich bin, um genau zu sein, exakt zehn Jahre älter. Und kann allen betroffenen Patienten und deren Angehörigen mitteilen: Wenn man den Knackpunkt erkannt hat, also den Grund, warum man sich das antut, dann ist eine Heilung ziemlich sicher!
Also, warum bin ich damals in diese Essstörung hineingerutscht?
Dafür gibt es mehr als einen Grund, aber die wichtigsten möchte ich hier aufzeigen:
- In meinem Job war ich total fehl am Platz. Ich machte alles mögliche nicht genau genug, Flüchtigkeitsfehler oder generell von Anfang an alles falsch. Dagegen konnte man mit Disziplin beim Essen und im Sport genau Tagebuch über sein Verhalten führen. Hier bekam ich Bestätigung. Sowohl auf der Waage als auch von außen.
- Wenn man einmal bis über die körperliche Grenze hinweg trainiert hat, kennt man dieses wunderschöne Hochgefühl, welches sich einstellt, wenn der Körper in den Alarmmodus schaltet. Danach wurde ich total süchtig. Es war das einzige, womit ich mich bei Laune halten konnte, denn eine schöne Beziehung (weder zu einem Partner noch zu mir selbst) hatte ich nicht. Mit dem Sport auf hungrigem Magen hatte ich etwas gefunden, dass mich regelmäßig in einen „Flow“ verfrachtete.
- Die Kollegen, die sonst nur Mängel an meiner Arbeit aufdeckten, begangen zuerst voller Lob zu sprechen, sich später aber sogar Sorgen zu machen. Das ging mir runter wie Öl. Ich wurde das erste mal nicht klein und dumm geredet, sondern hatte was zu zeigen. Und später, so vermute ich, erreichte ich den Nerv der Fürsorge von meinen Vorgesetzten. Ich wollte bemuttert werden. Das war neben der Missachtung eine tolle Abwechslung…
- Ein nicht unwichtiger Grund: Ich fand mich abgrundtief hässlich.
Tja. Wie man erkennen kann, fehlte mir ganz offensichtlich etwas sehr wichtiges, das jeder Mensch ungefähr so sehr wie Wasser benötigt:
Eine Lebensaufgabe, ein Hobby, etwas, das einen erfüllt.
Damals war ich noch überzeugt, dass man erst durch den richtigen Partner ein schönes Leben finden würde. Ich tat alles, um den Beschützerinstinkt bei Männern zu wecken. Was auch klappte.
Das das ein völlig falscher Ansatz für eine Beziehung ist, weiß ich erst heute. Aber dafür muss man wohl eine gewisse Reife haben, um das zu begreifen.
Mein Weg aus der Krankheit
Mein Weg führte mich, was man ausführlicher in den oben verlinkten Beiträgen lesen kann, zunächst ins Krankenhaus, da mein Körper nicht mehr wollte. Auf dem Ultraschall diagnostizierte der Oberarzt der Inneren Abteilung einen starken Rückgang der Eiweißfäden im Herz. Es drohte also ein Riss der Herzklappen, wenn ich nicht SOFORT aufhörte, gegen meinen Körper zu kämpfen.
Und ja, ich hatte es zeitgleich so satt, jeden Tag nach der Arbeit im Fitnessstudio zu sein.
Also war das Timing wirklich gut. Mein Kopf machte eigentlich sehr schnell die Kehrtwende. Und ich aß alles, was mir vor die Nase gestellt wurde.
Da ich ja keine Magersucht hatte, war der Start mit dem normalen Essen an sich auch kein Problem. Ich hatte nur so furchtbare Angst davor, zuzunehmen. Das Problem löste ich mit den Ärzten, indem ich „blind“ gewogen wurde, sodass ich nicht in Zahlen sehen konnte, was passierte.
Dafür merkte ich aber allerhand körperliche Veränderungen in wenigen Wochen:
Mein Muskeltonus nahm ab. Ich entspannte merklich. Das spürte ich vor allem an meinem Kiefer, den ich nun weniger zusammenbiss.
Ich konnte wieder Treppen steigen, ohne das mein Kreislauf aussetzte und ich nichts mehr sehen konnte.
Ich spürte in der Kunsttherapie, wie unfassbar gerne ich Bildern oder Ton ein Gesicht gab.
Und ich fing an zu schreiben.
Damals noch so richtig als Tagebuch in einer Kladde. Ich bastelte mir die schönsten Notizbücher:) Und fand eine neue „Sucht“: Bücher.
Nur gut, dass diese Sucht nicht annähernd so bedrohlich ist, wie eine Bulimie;)
Und dann passierte ein Ereignis, welches mich letztlich total kurierte: Ich lernte meinen damaligen Freund kennen, welcher Arzt war. Er erzählte mir so viele tragische Erlebnisse aus der Klinik, dass ich wirklich anfing, das LEBEN wertzuschätzen. Wie wenig selbstverständlich es doch ist, nicht krank zu sein… Da empfand ich es plötzlich als äußerst respektlos der ganzen Welt gegenüber, gegen die eigene Gesundheit anzukämpfen…
Beitragsbild:Photographee.eu / shutterstock
Leave a Reply