Erziehung – Pubertät ist, wenn die Eltern anfangen schwierig zu werden

Liebe Leser,

da ich von immer wieder darauf angesprochen werde, Hilfestellungen im Umgang mit pubertierenden Kindern bzw. Jugendlichen zu schreiben, möchte ich etwas Licht in das Mysterium Pubertät bringen.

Vorab, nicht nur für uns Eltern und Lehrern ist es schwer mit diesen kaum zu „bändigenden“ Jugendlichen, vor allem für sie selbst ist es sehr wahrscheinlich die größte Herausforderung in ihrem bisherigen Leben. Sie

  • stehen vor der „Aufgabe“ sich von ihrem Elternhaus und damit den von ihnen übernommenen Meinungen und Verhaltensweisen zu lösen
  • neigen zu „überzogenen“ Emotionen und emotionalen Reaktionen
  • befinden sich auf dem Weg zur Selbstfindung und „leiden“ dabei unter extremer Selbstverunsicherung
  • unterliegen heftigen hormonellen Umstellungen und Umbauaktivitäten im Gehirn
  • spüren einen starken Drang zur Selbstständigkeit verbunden mit dem Druck zur beruflichen Orientierung

Gehirn wegen Umbauarbeiten außer Kraft gesetzt

Die Sexualhormone lösen die Veränderung und somit die Pubertät zwischen dem 8-10 Lebensjahr aus. Doch sie sind es nicht allein, die den Jugendlichen so zu schaffen machen. Der Körper entwickelt sich und das Gehirn gleicht einer Baustelle.

Bis zur Pubertät hat das Gehirn der Jugendlichen gut funktioniert und je nach Anforderung hat es neue Verbindungen zwischen den einzelnen Nervenzellen geknüpft, die sogenannten Synapsen. Zu Beginn der Pubertät nehmen diese Synapsen sprunghaft zu, „nur“ um anschließend wieder rapide abzunehmen. Von diesem Prozess ist das gesamte Gehirn betroffen.

Es beginnt hinten im Stammhirn und setzt sich langsam nach vorne zum Stirnlappen fort. Der Stirnlappen ist für die Planung, Riskoabschätzung und Bewertung zuständig. Während dieser Teil des Gehirns sich im Umbau befindet, haben die Jugendlichen große Schwierigkeiten sich rational zu entscheiden. Das Risikoverhalten erhöht sich, wenn sie in einer Gruppe von Gleichaltrigen sind. Dies gilt vor allem für die Altersgruppe zwischen 15 und 25 Jahre.

Während dieser Umbauphase übernimmt ein anderer Bereich des Gehirns, der eigentlich für unsere Emotionen zuständig ist, diese Aufgabe. So sind die nicht gerade vernunftorientierten Entscheidungen unserer pubertierenden Kinder nachzuvollziehen.

Dopamin – Glückshormone auf Abwegen

Die Bedeutung des Dopamins wird hauptsächlich im Bereich der Antriebssteigerung und Motivation vermutet. Im Volksmund ist Dopamin vor allem als Glückhormon bekannt, da

dieser Stoff im Gehirn, für die Belohnungen (Glücksgefühle) verantwortlich ist. Dieses System spielt bei den pubertierenden Jugendlichen verrückt und so suchen die Jugendlichen immer stärkere Kicks, um in deren Genuss zu kommen. So betrachtet, ist es kein Wunder, dass sie mit Zigaretten, Alkohol und Drogen rumexperimentieren und oder sich extreme körperliche Herausforderungen, wie Bungee-Jumping, Achterbahn fahren, Geschwindigkeitsrausche und ähnliches suchen.

Und wenn zu wenig Dopamin ausgeschüttet wird, fehlt ihnen immer wieder die nötige Motivation sich aufzuraffen und zur Schule zu gehen, ihre Hausaufgaben zu machen oder zu lernen.

Zudem wird bei ihnen das Hormon Melatonin bis zu zwei Stunden später ausgeschüttet, wodurch sie abends so schwer ins und morgens so schwer aus dem Bett zu kriegen sind.

Der bekannte Filmtitel „Denn sie wissen nicht, was sie tun“ fasst diese Situation der Jugendlichen sehr gut zusammen.

Das Ziel dieses Umbaus liegt übrigens in der selbstbestimmen Entwicklung des Gehirns der heranwachsenden Menschen, die zum ersten Mal in ihrem Leben durch ihre Interessen und Bedürfnisse Einfluss auf die Entwicklung ihres Gehirns haben, wo sie zuvor mehr oder weniger den Wünschen ihrer Eltern gefolgt sind. Ich vermute, dies ist evolutionsbedingt für die „Weiter-“ Entwicklung der Menschheit vorgesehen, auch wenn man an der zurzeit daran zweifeln könnte. Vermutlich befindet sich die Menschheit gerade in einer Art Pubertät 😉

Das Verständnis über die Entwicklungen im Körper und im Gehirn unserer pubertierenden Jugendlichen kann und „sollte“ es uns Eltern leichter machen, in dieser Phase entspannter mit unseren Kindern „umzugehen.“ Je entspannter wir diese Phase „gestalten „, desto tiefer wird unsere Beziehung zu unseren Kindern später werden.

An dieser Stellt möchte ich alle Eltern einladen, sich einen Moment Zeit zu nehmen, um sich einmal daran zu erinnern, was sie und ihre damaligen Jugendfreunde in ihrer Pubertät gemacht bzw. „angestellt“ haben und was sie sich damals von ihren Eltern gewünscht hätten.

Wie können wir Eltern aber nun unsere Kinder in dieser Phase am besten unterstützen?

Wertschätzung, Anerkennung, Lob

Wir könnten uns verstärkt darauf konzentrieren ihnen positive Verstärkungen zu geben und uns über das, was sie erleben und wie sie lernen damit umzugehen freuen.

Vertrauen

Und am wichtigsten: „schenken wir ihnen unser Vertrauen“!!!

Wobei es nicht darum geht, darauf zu vertrauen, dass sie um 22 Uhr nach Hause kommen, sondern, dass sie im „Endeffekt“ ihr Leben meistern und ihren Weg und Platz finden werden.

Dialog statt Monolog

Statt Verbote, Gebote und womöglich sogar „Drohungen“ auszusprechen sollten wir wieder damit zu beginnen mit ihnen zu reden. Dafür ist es vor allem wichtig ihnen wirklich zuzuhören. Dafür kann es sehr hilfreich sein sich in ihren „Bereich“ zu begeben“. Falls man früher mit ihnen als Kleinkind viel an ihrem Bett vor dem Schlafen gehen geredet hat, ist es jetzt umso leichter dort wieder anzusetzen. Am besten man behält dieses „Ritual“ von vornherein, so lange wie sie es zulassen, bei.

Verantwortung übergeben

Weniger Kontrollieren mehr Vertrauen aufbauen und Verantwortung an die Jugendlichen abgegeben. Dies sollte alters- bzw. reifeentsprechend früh beginnen.

So können gerade im Konfliktbereich Schule viele Konflikte und Streitigkeiten vermieden werden. Es könnte z.B. so aussehen, dass sie zu Beginn eines Schuljahres mit ihren Kindern realistische Ziele in Bezug auf Noten besprechen. Anschließend sollten wir unseren Kindern die Verantwortung für ihre Hausaufgaben und das Lernen für Klausuren übergeben und ihnen für Unterstützung zur Verfügung stehen. Das ist alles andere als leicht für uns Eltern, gerade, wenn die Schulnoten abstürzen und gar eine Versetzung gefährdet ist. Doch dies ermöglicht uns ein vertrauensvolles Verhältnis zu unseren Kindern zu bewahren. Ist es nicht das, was wir uns in Bezug auf unsere „lebenslange“ Kinder am meisten Wünschen?

Verständnis

Der Umbauprozess des Gehirns ist, wie ich oben erläutert habe, hauptverantwortlich für die häufigen Stimmungsschwankungen und die Antriebslosigkeit unserer Teenies. So schwer es uns Eltern in dieser Phase auch fällt, wäre es hilfreich und angenehmer für alle, wenn wir unseren heranwachsenden Kindern in dieser Zeit mit mehr Verständnis begegnen könnten. Und schenken wir ihnen eines der schmerzhaftesten Geschenke für uns Eltern: Das Vertrauen „Fehler“ zu machen, selbst solche die wir schon gemacht haben. Nur so werden sie ihren Weg gehen und ihren Platz im Leben finden.

Zudem können wir uns „heilen“, in dem wir den Wünschen und Bedürfnissen unserer pubertierenden Kinder mit Verständnis begegnen. Damit schenken wir uns, sozusagen nachträglich, das Verständnis, was wir uns damals von unseren Eltern gewünscht hätten.

Unsere Kinder wollen, wie wir, geliebt werden, wie sie sind. Diese Chance erhalten sie erneut in der Pubertät, in der sie ihre eigenen Meinungen und Überzeugungen bilden. Meinungen, Überzeugungen, die sie nicht von uns übernommen haben und die in dieser Phase häufig unseren genau widersprechen.

Pubertät ist…
Wenn du deinem Kind das Geschenk machst,
wegen dir zu wüten – und du bleibst da.
nach Harald Berenfänger (*1966, Coach und Philosoph)

Um meine Ausführungen über den Gehirnumbau, insbesondere des Stirn- bzw. Frontallappens abzuschließen, möchte ich noch kurz auf die „Ergebnisse“ der Restrukturierung dieser Region aufführen. Diese wären die

  • Fähigkeit unpassendes Verhalten zu unterdrücken
  • Planungen strukturiert an zu gehen
  • Entscheidungen zu treffen
  • Informationen im Kopf zu behalten und
  • mehrere Dinge „gleichzeitig“ tun. Diese Leistung kann sehr nützlich sein, wird aber heutzutage fast durchgehend in Anspruch genommen und begünstigt so die Entstehung von Stress mit allen seinen Nebenwirkungen.

Ich wünsche euch und euren Kindern viel Geduld und Vertrauen.

Deva

(Familientherapeut, Persönlichkeitsentwickler und Trainer für Gewaltfreie Kommunikation)

Beitragsfoto: Jacob Lund / shutterstock

2 Comments

  1. Grenzen setzen, heißt Verantwortung übernehmen - BabytalkBabytalk

    8. Juni 2018 at 16:41

    […] mehr lösen. Und so auch ihre eignen Grenzen definieren. Hierzu kann ich euch meinen Beitrag „Pubertät ist, wenn Eltern anfangen schwierig zu werden„auf dem Familymag.net […]

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